Elisabeth Klamper/Wolfgang Neugebauer
Der NS-Terrorapparat, der im März 1938 in Österreich errichtet und in den folgenden Jahren bis zur Perfektion ausgebaut wurde, war - neben zeitweise sehr erfolgreichen Bemühungen zur Vereinnahmung der Bevölkerung - eine der wesentlichen Stützen der NS-Herrschaft. Dem Terror kam die Aufgabe zu, politische und "rassische" GegnerInnen des Nationalsozialismus auszuschalten bzw. überhaupt zu vernichten, die Normen der Diktatur in allen Bevölkerungsgruppen durchzusetzen und die Inanspruchnahme des gesamten wirtschaftlichen und menschlichen Potentials Österreichs für die Vorbereitung bzw. Durchführung eines Eroberungskrieges abzusichern.
Für 1938 sind zwei einander ergänzende Bereiche des NS-Terrors auszumachen:
- die staatliche, von Hitlerdeutschland lang vorbereitete und systematisch
durchgeführte
Unterdrückung. Einerseits wurden Tausende deutsche Gestapo-, SS-
und SD-Leute nach Österreich gebracht, andererseits wurde - nach
erfolgter Säuberung - die gesamte österreichische Polizei
dem vom Reichsführer SS Himmler beauftragten Staatssekretär
für das Sicherheitswesen und Höheren SS- und Polizeiführer
Ernst Kaltenbrunner unterstellt;

- der spontane Terror einheimischer NationalsozialistInnen, SS- und
SA-Leute, der vor allem für die massiven Ausschreitungen im März
und April, für den Sturm auf das Erzbischöfliche Palais in
Wien im Oktober sowie für das Novemberpogrom 1938 verantwortlich
war.
Nicht zuletzt aufgrund der negativen Auswirkungen auf das internationale
Ansehen Deutschlands und auf die Wirtschaft stellte die NS-Führung
den weithin sichtbaren "Terror von unten" weitgehend ab. Die Repression
blieb dem SS- und Polizeiapparat vorbehalten; die NSDAP und ihre Gliederungen
hatten nur mehr Hilfsfunktionen (z. B. Denunziationen) zu erfüllen.
Im staatlichen Terrorapparat fanden zahlreiche radikale österreichische
Nazis Aufnahme und machten Karriere. ÖsterreicherInnen wurden so in
einem hohen Maße MittäterInnen, einige sogar HaupttäterInnen.
Die österreichischen Nazis bedurften nicht der Anordnungen der neuen
reichsdeutschen Machthaber zum Terror. Spontan ergriffen sie im März
1938 die Initiative zu willkürlichen Festnahmen, Misshandlungen, Demütigungen
und Beraubungen politischer und "rassischer" GegnerInnen. Die Ausschreitungen
erfolgten öffentlich, nicht selten unter großer Anteilnahme zahlreicher
MitläuferInnen, und stellten alle bisherigen Verfolgungen in Deutschland
in den Schatten. Die Ursachen für den Radikalismus der österreichischen
NationalsozialistInnen, für den spontanen "Terror von unten", lagen
in der politischen Entwicklung seit 1933: Im Unterschied zu ihren reichsdeutschen
ParteigenossInnen, die sich seit der "Machtergreifung" 1933 in der Bürokratie,
in der Wirtschaft, im Parteiapparat und anderen gesellschaftlichen Bereichen
etablieren konnten, waren die österreichischen Nazis 1933 bis 1938
politisch Verfolgte. Nicht wenige AktivistInnen waren als PutschistInnen
oder TerroristInnen ins "Reich" geflüchtet, wo sie in der Österreichischen
Legion, in der SS und
anderen
NS-Organisationen die Abrechnung mit ihren GegnerInnen vorbereitet hatten.
Sie kamen nun in der Rolle der Rache nehmenden SiegerInnen nach Österreich
zurück. In ähnlicher Weise hatten sich bei den in Österreich
tätigen illegalen Nazis Hassgefühle und Rachedenken aufgestaut.
Nicht zuletzt zogen die Nazis aus dem Terror auch handfesten Nutzen, da
sie sich Wohnungen, Geschäfte und Posten ihrer Opfer aneigneten.
Ein wichtiges Instrument des nationalsozialistischen Repressionsapparates
stellte die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) dar.
Als totalitäre Staatspartei kontrollierte und beeinflusste sie mit
ihren Gliederungen (SA, SS, HJ) und angeschlossenen Verbänden (NS-Lehrerbund,
NS-Juristenbund etc.) nahezu alle gesellschaftlichen Lebensbereiche. In
den sieben Alpen- und Donaugauen stieg die Mitgliederzahl der NSDAP auf
über 680.000 (1942) an, worunter sich freilich nicht nur überzeugte
und fanatische AnhängerInnen, sondern auch viele
KarrieristInnen
und OpportunistInnen befanden. Für Staat wie für Partei galt das
faschistische Führerprinzip: Der Führer befiehlt, die Gefolgschaft
gehorcht. Dementsprechend war die NSDAP straff und hierarchisch organisiert:
Vier bis acht Blocks (als unterste Einheit) bildeten eine Zelle, drei bis
fünf Zellen eine Ortsgruppe, mehrere Ortsgruppen jeweils einen Kreis
und mehrere dieser Kreise den Gau. Die von Hitler ernannten und ihm unterstehenden
Gauleiter, die gleichzeitig auch als Reichsstatthalter, also als Leiter
der staatlichen Verwaltung, fungierten, hatten beträchtlichen Einfluss
auf den Terrorapparat. Nicht zuletzt gehörte die Überwachung der
politischen Haltung der Bevölkerung zu den Aufgaben der politischen
Hoheitsträger der NSDAP (Gauleiter, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter,
Zellenleiter, Blockleiter).
Die SA ("Sturmabteilung") und die SS ("Schutzstaffel") waren die wichtigsten Gliederungen der NSDAP und als solche Terrorinstrumente.
- Die SA, als militante Parteiformation in der "Kampfzeit" vor 1933
von großer Bedeutung, hatte im Zuge des "Röhm-Putsches" (Ermordung
des SA-Führers auf Befehl Hitlers) ihre Bedeutung eingebüßt
und spielte in Hitlerdeutschland keine politische
Rolle
mehr. Dessen ungeachtet beteiligten sich zahlreiche SA-Angehörige
an den Ausschreitungen im März und April 1938 und taten sich insbesondere
bei der Demütigung und Beraubung der österreichischen Jüdinnen
und Juden hervor.
- Die SS, als Leibwache Adolf Hitlers geschaffen, stieg unter dem Reichsführer
SS Heinrich Himmler zu einer machtvollen Herrschaftsträgerin des
NS-Regimes auf; ihr kam infolge der von Himmler herbeigeführten
Verschmelzung mit dem Polizeiapparat die entscheidende Rolle im System
des NS-Terrors zu. Zur weit verzweigten Organisationsstruktur der SS
zählten die - weniger bedeutende - Allgemeine SS, das Reichssicherheitshauptamt
(RSHA), Verwaltung und Bewachung der Konzentrations- und Vernichtungslager
(SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, SS-Totenkopfverbände),
eigene kämpfende Truppen (Waffen-SS), ein eigener Geheimdienst,
der SD (Sicherheitsdienst der SS). In Österreich trat die SS
1938
vor allem bei den Brandstiftungen an den jüdischen Gotteshäuser
in der "Reichskristallnacht" hervor. Die Ämter, Einrichtungen und
Formationen der SS führten später die Ermordung der europäischen
Jüdinnen und Juden durch, wobei Österreicher wie Ernst Kaltenbrunner,
Adolf Eichmann und Odilo Globocnik auch in wichtigen Positionen beteiligt
waren.
Die Geheime Staatspolizei (Gestapo), der Sicherheitsdienst der SS (SD) und die traditionellen Polizeigliederungen waren unter dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren Heinrich Himmler zu einem gigantischen Terrorapparat verschmolzen worden.
- Die mit Himmler-Erlass vom 18. März 1938 in Österreich eingerichtete
Gestapo, die über etwa 2.000 MitarbeiterInnen verfügte, wurde
zum wichtigsten Instrument der Repression aller politischen und "rassischen"
GegnerInnen des NS-Regimes. Ihre brutalen Methoden - Folter, Morde,
KZ-Einweisungen - ließen sie zum Inbegriff nationalsozialistischen
Terrors werden.
- Der Kriminalpolizei (Kripo) fiel die Bekämpfung der nichtpolitischen
Kriminalität zu, die trotz terroristischer Polizeimethoden keineswegs
zurückging. Darüber hinaus war die Kripo für die Verfolgung
der als "asozial" diffamierten "Zigeuner" (Roma und Sinti) zuständig.
Gestapo und Kripo bildeten die Sicherheitspolizei (Sipo).
- Der (uniformierten) Ordnungspolizei - gegliedert in Schutzpolizei
und Gendarmerie - kam im NS-Terrorapparat nur eine Hilfsfunktion für
Gestapo und Kripo zu.
- Der SD - gegliedert in SD-Außenstellen, SD-Leitabschnitt
Wien, SD-Oberabschnitt Donau -
war
gleichzeitig innen- und außenpolitischer Geheimdienst und ein
Apparat sowohl zur Bespitzelung der Bevölkerung als auch der NSDAP,
der Wehrmacht u. a. Bei der Okkupationspolitik in Europa spielte er
eine entscheidende Rolle.
Der gefürchtetste Begriff im Vokabular des NS-Terrors war KZ (= Konzentrationslager).
Die KZ waren staatliche Zwangsarbeitslager, die der SS (Reichsführer
SS Himmler, Reichssicherheitshauptamt, SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt)
unterstanden. Die Einweisung erfolgte ohne (Gerichts-)Verfahren aufgrund
eines "Schutzhaftbefehls" der Gestapo, oft auf bloßen Verdacht "staatsfeindlicher"
Gesinnung. Über Hunderttausende politische und "rassische" GegnerInnen,
aber auch über "Asoziale", Kriminelle, Homosexuelle u. a. wurde "Schutzhaft"
verhängt. Schwerste Arbeit, oft in
Steinbrüchen,
in Verbindung mit unzureichender Ernährung und schlechten sanitären
und medizinischen Verhältnissen, Übergriffe der SS, systematische
Selektionen (Auswahl zur Ermordung durch SS-Ärzte) und Mordaktionen
ließen den Häftlingen kaum eine Überlebenschance.
Sofort nach der Besetzung Österreichs wurde die Justiz zu einem Werkzeug
nationalsozialistischer Machtausübung und des Terrors vor allem gegen
politische GegnerInnen gemacht, wobei weit verbreitete NS-Sympathien der
österreichischen Richterschaft diesen Prozess
beschleunigten. Zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen
in Österreich wurden die schon im "Altreich" bewährten Methoden
angewendet: personelle
Säuberungen bzw. Durchsetzung mit Parteigängern, politische Druckausübung
und Beeinflussung der Richter, Eingriffe in Rechtsprechung. Ganze Gruppen
(wie z. B. Jüdinnen und Juden sowie PolInnen) wurden nicht mehr von
der Justiz behandelt, sondern ohne Verfahren dem SS- und Polizeiapparat
überantwortet. Dazu kam die Übernahme der deutschen Gerichtsorganisation:
Volksgerichtshof, besondere Senate der Oberlandesgerichte, Sondergerichte
bei den Landgerichten, Militärgerichtsbarkeit, SS- und Polizeigerichte,
Standgerichte. Kamen politische GegnerInnen 1938 noch mit Zuchthausstrafen
relativ glimpflich davon, wurden später immer mehr Todesurteile ausgesprochen;
man verschonte auch Jugendliche nicht. Allein im Wiener Landesgericht wurden
über 1.100 Hinrichtungen mit dem Fallbeil vollzogen. |