Widerstand in Österreich Wolfgang Neugebauer ![]() Im Unterschied zu anderen besetzten Ländern, wo von vornherein ein klares Feindbild bestand und der Widerstand zur Sache aller nationalen Kräfte wurde, hatten die österreichischen WiderstandskämpferInnen in einer feindlichen, von DenunziantInnen und fanatischen RegimeanhängerInnen durchsetzten Umwelt zu wirken. Der Widerstand war von der für Österreich typischen tiefen parteipolitischen Fragmentierung geprägt. Der politisch-gesellschaftlichen Struktur Österreichs entsprechend, fand das NS-Regime zwei annähernd gleich starke potentielle Hauptgegnergruppen vor: die organisierte Arbeiterbewegung, hauptsächlich in den Industriezentren im Osten Österreichs konzentriert, und das katholisch-konservativ-bürgerliche Lager. Eine gemeinsame nationale Wurzel des Widerstandes, die - ungeachtet auch dort bestehender politischer Differenzierungen - für die anderen von Hitlerdeutschland besetzten Länder charakteristisch war, war aufgrund der besonderen "nationalen" Situation Österreichs lange Zeit kaum vorhanden, sie entwickelte sich in Ansätzen erst gegen Kriegsende. Trotzdem kann der Auffassung von einem "spezifischen österreichischen Widerstand" zugestimmt werden, nicht zuletzt weil organisatorisch eine nahezu völlige Trennung zwischen österreichischen und deutschen Widerstandsgruppen bestand. Zur Bedeutung des Widerstands ArbeiterInnenbewegung Katholisch-konservativ-bürgerliches Lager Andere religiöse Gruppen Bewaffnete Widerstandsgruppen Überparteiliche Gruppen Widerstand in der Haft Individueller Widerstand Der Widerstand, sein Ausmaß und seine Bedeutung sind nur im Zusammenhang mit dem Gesamtverhalten der ÖsterreicherInnen in der NS-Zeit, also unter Berücksichtigung des österreichischen Nationalsozialismus, zu bewerten. Eine solche Beurteilung kann freilich nicht in Form einer bloßen Gegenüberstellung von - größenordnungsmäßig geschätzten - 100.000 WiderstandskämpferInnen mit 700.000 NSDAP-Mitgliedern erfolgen; denn die einen hatten ihre gesamte Existenz zu riskieren, die anderen genossen alle Vorteile einer - die alleinige Macht ausübenden - Staatspartei. Gemessen an der großen Zahl der Opfer waren die praktischen Ergebnisse des Widerstandskampfes - etwa in Richtung einer Gefährdung des NS-Regimes, einer ernstlichen Schädigung der NS-Kriegsmaschinerie oder der Erringung der Hegemonie in der Bevölkerung - eher bescheiden. ![]() [TOP] Von der Parteiführung angeordneter Stillstand nach dem Anschluss, Flucht oder Auswanderung belasteter FunktionärInnen sowie Verrat in den eigenen Reihen führten zum organisatorischen Niedergang der seit 1934 im Untergrund wirkenden SozialistInnen (RS). Die weiter aktiven RSlerInnen konzentrierten ihre Tätigkeit auf die Unterstützung von Angehörigen von Verfolgten und die schon seit 1934 bestehende Unterstützungsaktion "Sozialistische Arbeiterhilfe" (SAH) - Gegenstück zur kommunistischen "Roten Hilfe" - wurde gleichsam zum Ersatz für die Parteiorganisation. Die Verfolgungsmaßnahmen und das Abreißen der Verbindungen zum Exil nach dem Kriegsausbruch 1939 führten dazu, dass der sozialistische Widerstand in einzelne, voneinander isolierte Gruppen zerfiel, unter denen die Revolutionären Sozialisten am bedeutendsten waren. Die gesamtdeutsche Linie, "die Umwandlung des bestehenden nationalsozialistischen in ein sozialistisches Deutschland", die von den sozialistischen Exilorganisationen vertreten wurde, war lange Zeit auch für die Widerstandsgruppen im Land maßgeblich. Erst im Laufe des Krieges und besonders nach der Moskauer Deklaration, in der die Unabhängigkeit Österreichs zum alliierten Kriegsziel erklärt wurde, erfolgte ein Umdenken. VertreterInnen des deutschen Widerstandes versuchten mehrmals, österreichische SozialdemokratInnen und Christlichsoziale zur Mitarbeit zu gewinnen, mussten aber zur Kenntnis nehmen, dass deren Wunsch nach Unabhängigkeit bereits stärker war als die Verbundenheit mit Deutschland. Wenn man von den vorhandenen Polizei- und Gerichtsmaterialien ausgeht, war der Widerstand der KommunistInnen zahlenmäßig der weitaus stärkste von allen politischen Gruppen. Auch die illegalen Druckwerke dieser Zeit sind an die 90 Prozent kommunistischer Provenienz. ![]() ![]() ![]() Die KPÖ brachte immer wieder SpitzenfunktionärInnen aus dem Ausland nach Österreich, die im Land den Widerstand zentral organisieren sowie die Parteilinie bekannt machen und durchsetzen sollten. Nahezu alle diese EmissärInnen wurden infolge der Zersetzung gerade der zentralen Parteikader mit Gestapospitzeln meist nach kurzer Zeit festgenommen und mit ihnen ganze Organisationen mit hunderten AktivistInnen. In den 20er und 30er Jahren wandten sich in Europa viele junge Intellektuelle, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen der Linken, der ArbeiterInnenbewegung und der Kommunistischen Partei zu. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Demokratie, Frieden und Kultur bedrohenden Faschismus ließ viele von ihnen die Augen vor den damals schon sichtbaren Entartungen und Verbrechen des Stalinismus verschließen. Gerade in diesem Milieu waren Menschen jüdischer Herkunft stark vertreten; geflüchtet, vertrieben, vielfach von der NS-Herrschaft wieder eingeholt, spielten sie im europäischen Widerstand, vor allem in Frankreich, eine wichtige aktivistische Rolle. So baute die aus dem französischen Exil bzw. Untergrund 1943 als "FremdarbeiterInnen" nach Wien zurückgekehrte Gruppe kommunistischer AktivistInnen ein umfangreiches Widerstandsnetz auf, das auch französische "FremdarbeiterInnen" umfasste. ![]() Im Mittelpunkt der auf Massenwiderstand zielenden kommunistischen Aktivitäten stand die Verbreitung illegaler Druckwerke, die das Meinungsmonopol des NS-Regimes durchbrechen sollten. Viele der illegalen Aktivitäten, wie Streu- oder Schmieraktionen, trug hauptsächlich der Kommunistische Jugendverband (KJV), wobei besonders die massenhaft an österreichische Frontsoldaten verschickten "zersetzenden" Briefe sowie die Unterwanderung der Hitler-Jugend durch Jungkommunisten die Aufmerksamkeit der Gestapo hervorriefen. Bis Ende 1943 konnte die Gestapo mit ihren berüchtigten brutalen Methoden die meisten bestehenden kommunistischen Gruppen aufdecken und zerschlagen; in einem Bericht der Gestapo Wien vom März 1944 wurde die Festnahme von 6.300 kommunistischen WiderstandskämpferInnen gemeldet. Kaum eine/r der von der Gestapo Festgenommenen wurde wieder entlassen; viele wurden hingerichtet oder kamen in Gefängnissen und Konzentrationslagern um. [TOP] ![]() Die katholische Kirche stand zwar nicht als Institution im aktiven Widerstand gegen das NS-Regime, da sie ihre legale Existenz nicht gefährden wollte, aber allein ihr Vorhandensein und ihre weltanschaulich-geistige Tätigkeit wirkten dem nationalsozialistischen Totalitätsstreben entgegen. Zahlreiche katholische Priester, Nonnen und Laien wurden zu entschiedenen Gegnern des als unchristlich empfundenen Regimes. Antikatholische Maßnahmen, Diskriminierung und Verfolgung von ![]() Die Grenzen zwischen Widerstandsaktivitäten und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten, auf die sich manche dieser Gruppen konzentrierten, waren fließend. Aus heutiger Sicht ist der militärische und geheimdienstliche Einsatz für die Alliierten, von NS-Gerichten und Gestapo bzw. heutigen Rechtsextremen als "Hoch- oder Landesverrat" diffamiert, als integrierender Bestandteil des Kampfes der Anti-Hitler-Koalition und des europäischen Widerstandes zu werten. [TOP] Die in Österreich schon seit 1935/36 verbotene religiöse Gruppe Internationale Bibelforschervereinigung setzte ihre Tätigkeit nach dem März 1938 unbeirrt fort. Die im NS-Jargon "Bibelforscher" genannte, sich selbst "Zeugen Jehovas" bezeichnende christliche Kleingruppe lehnte den nationalsozialistischen Staat kompromisslos ab, verweigerte den vorgeschriebenen "Deutschen Gruß" ebenso wie den Dienst in der Hitler-Jugend. Das NS-Regime verfolgte die Zeugen Jehovas vor allem wegen ihrer strikten Ablehnung von Kriegsdienst und Rüstungsarbeit konsequent und brutal. Nach eigenen Angaben sind von 550 Mitgliedern in Österreich 145 umgekommen, davon 54 wegen Kriegsdienstverweigerung oder Wehrkraftzersetzung. Daran gemessen war der Widerstand der evangelischen Kirche und der altkatholischen Kirche zahlenmäßig gering, wiewohl auch sie von den antikirchlichen Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes in Mitleidenschaft gezogen wurden. Mehr als gelegentliche regimekritische Predigten oder Stellungnahmen von VertreterInnen der evangelischen Kirche und anderer christlichen Gruppen, wie z. B. Baptisten, fielen die Bemühungen der (Evangelischen) Schwedischen Mission in Wien ins Gewicht, die mehr als 3.000 Jüdinnen und Juden sowie ChristInnen jüdischer Herkunft zur Auswanderung in das neutrale Ausland verhalfen. [TOP] Die österreichischen WiderstandskämpferInnen beschränkten sich in der Hauptsache auf traditionelle politische Tätigkeitsformen, wie die Bildung von Organisationen, Propaganda und dergleichen, die sich als verlustreich, aber wenig effizient erwiesen. Gewaltsame Aktionen, auch Sabotage, waren eher selten. Erst etwa ab 1942 bildeten sich, meist auf Initiative von KommunistInnen, bewaffnete Widerstandsgruppen. Vor allem in Südkärnten formierten sich slowenische PartisanInnengruppen. ![]() Im Unterschied zu den auf die Sympathie der slowenischen Bäuerinnen und Bauern sich stützenden Kärntner PartisanInnen fiel es den mit Fallschirmen abgesetzten Kampfgruppen wie z. B. den "Koralmpartisanen" sehr schwer, in der Bevölkerung Fuß zu fassen, da hier die NS-Propaganda mit ihren antibolschewistischen Feindbildern stark wirksam war. Von den bewaffneten Widerstandsgruppen außerhalb Kärntens trat nur die PartisanInnengruppe Leoben-Donawitz militärisch in Erscheinung, während andere vielfach als "Partisanen" bezeichnete Gruppen im Salzkammergut oder im Ötztal über die Aufbau- und Bewaffnungsphase nicht hinauskamen. [TOP] Gegen Ende des Krieges formierten sich vielerorts überparteiliche Widerstandsgruppen, deren AktivistInnen aus verschiedenen politischen und sozialen Lagern stammten; die Ablehnung des Nationalsozialismus, die Abkürzung des Krieges, die Erkämpfung der Freiheit waren das einigende Band. Die größte und bekannteste dieser Widerstandsgruppen war die Gruppe O5, die von bürgerlich-konservativen Kräften initiiert und getragen wurde, aber auch Kontakte zu SozialdemokratInnen und KommunistInnen knüpfte und durch die Verbindung, die Fritz Molden mit den Westalliierten herstellen konnte, einen hohen politischen Stellenwert erlangte. Unabhängig davon hatte sich im Wehrkreiskommando XVII in Wien eine militärische Widerstandsgruppe um Major Carl Szokoll gebildet. Diese war bereits beim Anti-Hitler-Putsch im Juli 1944 spektakulär in Aktion getreten, als im Zuge der "Operation Walküre" führende Wiener NS-Funktionäre vorübergehend festgenommen wurden. Der unentdeckt gebliebene Major Szokoll kooperierte mit der O5 und konnte im April 1945 Kontakt mit der Roten Armee aufnehmen, doch der Aufstandsplan ("Operation Radetzky") und damit die kampflose Übergabe der Stadt Wien fielen einem Verrat zum Opfer. In anderen Orten und Gegenden konnten Widerstandskräfte die Zusammenbruchs- und Rückzugsphase des NS-Regimes ausnützende Befreiungsaktionen durchführen. So befreite die Tiroler Widerstandsbewegung unter der Leitung des späteren Landeshauptmanns Karl Gruber die Stadt Innsbruck am 3. Mai 1945 noch vor dem Eintreffen der ersten US-Truppen. [TOP] Auch in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern des "Dritten Reiches", in denen zehntausende ÖsterreicherInnen inhaftiert waren, gab es - trotz der noch größeren Gefahren und Schwierigkeiten - Widerstand. Dabei standen die Organisierung der Solidarität, die Hilfe für die anderen KameradInnen, die Sorge um das nackte Überleben im Vordergrund. Aus nahezu allen Häftlingsberichten geht hervor, dass sich die ÖsterreicherInnen auch als solche verstanden und die meisten in ihren politischen Zukunftsvorstellungen an ein eigenständiges Österreich dachten. Die Sichtweise vom "Geist der Lagerstraße" und von der uneingeschränkten Solidarität der Häftlinge ist freilich durch neuere Forschungen zur KZ-Geschichte in Frage gestellt. [TOP] ![]() ![]() Von diesen Formen des "kleinen Widerstandes" und des abweichenden Verhaltens von NS-Normen hebt sich die von einzelnen Personen geleistete Hilfe für rassistisch Verfolgte, insbesondere für Jüdinnen und Juden, qualitativ ab, weil sie von zutiefst humanen Motiven getragen und eine bewusst regimeablehnende Handlung war. Unterkunftgewährung für jüdische "U-Boote" oder Lebensmittelweitergabe wurden mit Gestapo- oder KZ-Haft bestraft. So wurde etwa die Wiener Ärztin Ella Lingens 1942 wegen ihrer Hilfe für jüdische Flüchtlinge nach Auschwitz gebracht, und der aus Wien stammende Feldwebel Anton Schmid wurde 1942 hingerichtet, weil er in dem - vom Österreicher Franz Murer kommandierten - Ghetto Wilna vielen Jüdinnen und Juden zur Flucht verholfen hatte. Der Staat Israel hat bislang rund 20.000 Personen, darunter 84 aus Österreich, als "Gerechte der Völker" ausgezeichnet. Es waren - so der zutreffende Titel des Buches von Erika Weinzierl - "Zu wenig Gerechte". |
|
Impressum | Home |